Apfelschnitz und Kotprobe

Von Maren Steinhoff

Maren Steinhoff bei der Arbeit
Maren Steinhoff Quelle: NABU Rhein-Erft

Im Juli 2020 habe ich mich entschlossen, selbst im Naturschutz aktiv zu werden. Wer ich bin? Ich bin Tierärztin, seit Jahren aber nicht mehr praktisch tätig, da mich das Muttersein hauptberuflich beansprucht. Muttersein bringt Verantwortung mit sich. Auch im Hinblick auf Umwelt-, Natur- und Klimaschutz.

 

Wo kann ich mich sinnvoll austoben?

 

Wo kann ich mein Wissen und meine Hände gleichermaßen einsetzen? Wie gestalte ich die Zukunft für meine Kinder mit? Wo kann ich Ruhe finden und Gleichgesinnte? Vogelstimmen richtig zuordnen können, gute Landwirtschaft kennenlernen, mehr über den Erhalt der Artenvielfalt - einschließlich der Art „Mensch“ - lernen? Mitreden? Nicht zuletzt: Wo kann ich endlich wieder praktisch meiner Berufung als Tierärztin nachgehen?

 

Irgendwie bin ich auf der Internetseite vom NABU gelandet und hier bei der Landschaftspflegestation (kurz: LPS) im Friesheimer Busch. Da gibt es schließlich auch Schafe und Ziegen. Ich habe kurz hingeschrieben und wurde zu einem Samstagsarbeitseinsatz eingeladen. Samstags? Geht gar nicht! Das gehört doch zum Wochenende. … Ach, zum Kennenlernen wird es schon gehen. Vielleicht gibt es ja auch die Möglichkeit, an anderen Tagen vormittags ein paar Stunden auszuhelfen, wenn die Kinder in der Schule sind - so Corona es erlaubt.

 

Proben fürs Labor
Proben fürs Labor Quelle: NABU Rhein-Erft

Ihr könnt es Euch schon denken: Es blieb nicht bei dem einen Samstag. Ich war sofort infiziert. Nicht mit Corona, sondern mit dem „gemeinen LPS-NABU-Virus“. Einmal eingeatmet, verlässt es einen nicht mehr. Immunität bildet sich nur gegen alle Gegenargumente von außen. Es macht einen süchtig!

 

Samstage reichten nicht mehr aus, mindestens einen weiteren Tag in der Woche brauchte ich, um die Ruhe des Naturschutzgebietes im ehemaligen Munitionsdepot einsaugen und tief wirken lassen zu können.

 

Was macht denn da so süchtig?

 

Der Zusammenhalt, die Gemeinschaft, das Streben nach gleichen Zielen, die hohe Motivation, bei JEDEM Wetter oder noch so widrigen Umständen als Team zusammenzuarbeiten. Körperlichen Einsatz zu zeigen. Mitzudenken, was die anderen gerade für Hilfe brauchen. Jeder und jede kann etwas, ist nützlich und gleichwertig. Es wird zusammen gedacht und organisiert. Mit angepackt.

Das Ziel ist klar: Es gilt das Naturschutzgebiet zu hegen und pflegen. Mit allen naturverträglichen Mitteln. Als Zweibeiner und Vierbeiner. Damit wäre ich bei meiner eigentlichen Leidenschaft angelangt: die Pflege der Vierbeiner. Klar, ich bin ja schließlich nicht umsonst Tierärztin geworden.

 

Unsere Grauen Gehörnten Heidschnucken sind eifrige, genügsame Fresserinnen mit den wärmsten und hübschesten Ökopullis. Etwas scheu, natürlich. Es sind ja keine Streicheltiere, sondern sie haben ein großes Gebiet zu bearbeiten. Ein wunderschönes Gebiet, mit weit offener Fläche mit Magerrasen und wenigen geschneitelten, schattenspendenden Bäumen.

 

Ha, da sind schon mehrere Dinge, die für mich neu waren: Graue Gehörnte Heidschnucken als alte Landschafrasse; „schneiteln“ und „Magerrasen“. Damit hatte ich vorher noch nicht viel zu tun. Ihr etwa? Viel Spaß beim Recherchieren.

 

Unsere Walliser Schwarzhalsziegen – manche davon auch in Kupfer - kümmern sich mit Freude um das gröbere Gestrüpp wie Brombeeren und Birkenschösslinge. Ihre Pullis sehen fast immer wie gekämmt aus, trotz der sich darin verfangenden Ästchen. Sie haben eindeutig ihren eigenen Kopf, gehen jedoch willig dem Menschen mit dem Eimer hinterher. In dem Eimer befinden sich z.B. Hafer, nur ein wenig zum Locken, oder auch mal Apfelschnitze, die von den Äpfeln unserer Streuobstwiesen stammen. Die Ziegen folgen dem Appell des täglichen Tierdienstes gern und kommen angelaufen, um sich zählen zu lassen. Meistens jedenfalls. Es gibt schon mal Situationen, in denen die Damen nicht so schnell zu finden sind zwischen den abgesteckten Parzellen und den Wällen, die einst die Munitionshütten umgaben. Zum Beispiel in der Brunst oder Lammzeit. Auch sind sie sehr charakterstark und sehr verschieden in ihrem persönlichen Auftreten, ganz anders als die Schafe. 

 

Maren untersucht ein Lamm
Maren bei der Arbeit Quelle: NABU Rhein-Erft

Um das ganze System der Landschaftspflege erfolgreich zu unterhalten, braucht es viel Wissen, Einsatz, Koordination und Ausdauer. Und körperliche Kräfte, um Hurden und Zäune zu tragen, Mulch zu rechen, Heu zu generieren, Brombeeren zu hacken, Laubheu und Apfelbäume zu schneiden oder Äpfel zu ernten, Verbiss-Schutz aufzustellen, Robinienholzpfähle tief einzugraben, Tiere von einem Schlag zum nächsten zu treiben, sie für Behandlungen zu pferchen und vieles mehr. Das geht nur in einer Gruppe, in der jeder mitmacht.

Mein Hauptaugenmerk liegt natürlich auf der Beurteilung des gesundheitlichen Zustands der Tiere.

Diese werden täglich von unserem Tierdienst versorgt und begutachtet - übrigens mit hohem Engagement und rein ehrenamtlich. Ich kümmere mich mit um die Koordination von regelmäßigen Klauenpflege-Aktionen, Behandlungen gegen sogenannte Ektoparasiten (Läuse, Haarlinge, Milben, Zecken usw.) und Entnahme von regelmäßigen Sammelkotproben zur Feststellung der Wurmbelastung.

 

Bevor ich einem Tier ein Medikament gegen Würmer gebe, gucke ich, ob es tatsächlich Würmer hat. Man nehme eine (gerne schmale) behandschuhte Hand, hole pro Tiergruppe von 3 - 5 Tieren ein paar Köttel aus dem Popo, verknete diese miteinander und schicke sie zur Untersuchung auf Wurmeier an ein Labor, zur Freude der Post.

 

Erstaunlicherweise hatten unsere fleißigen Grünfresserinnen das ganze Jahr über wenig Wurmbefall. Würmer kommen fast immer bei Weidehaltung vor. Besonders gerne bei feuchterem Wetter, da sie verschiedene Entwicklungsstadien haben, die gerne im Gras oder in anderen Tieren (je nach Wurm) überleben und erneut eine Infektion auslösen können. Wenn es nötig ist, wird mit einem Medikament entwurmt. Ein paar Tage nach erfolgter Wurmkur lässt man nochmal Kotproben untersuchen. Das macht man, um herauszufinden, ob das Wurmmittel denn gewirkt hat, und hilft so, Resistenzen zu vermeiden.Für uns ist in erster Linie die Gesamtgesundheit des Tieres wichtig. Also ob zum Beispiel Euter und Klauen so sind, dass sie wenig krankheitsanfällig sind. Ob das Gebiss und das Maul ihnen eine problemlose Futteraufnahme ermöglichen. Aber auch das Verhalten und die Robustheit der Tiere zählen.

 

Unsere Hoftierärztin wird zu Hilfe gerufen, wenn es um größere Eingriffe wie, Bestandsimpfungen oder um Einzeltiererkrankungen geht, für die mir Erfahrung oder Medikamente fehlen. Ich trage dann die Behandlungen in das Bestandsregister ein.

 

Und ich darf - welcher Luxus -, als Tierärztin die Patienten auch nach der Behandlung noch pflegen und mich wieder mit ihnen gutstellen. Mit Haferrunden, Apfelschnitzen, frischen grünen Wiesen und manchmal eben auch einfach nur, indem ich ihnen beim Grasen unter einem Schattenbaum bei Sonnenauf- oder -untergang zuschaue.

  

Das sind die Tage, an denen ich zufrieden, glücklich und hundemüde nach Hause gehe, auf das ich mich dann freue. (2022)